Ausbildungsordnung für Cooperative Praxis DVCP
I. Ziele, Grundlagen, Struktur
1. Ziel
Ziel der Ausbildung ist die Befähigung zur qualifizierten Ausübung von Cooperativer Praxis gemäß den Standards der DVCP.
Die Ausbildung von Cooperativer Praxis ist von ihrem Wesen her interdisziplinär. Cooperative Praxis ist ein Konsensverfahren, in dem die am Verfahren beteiligten Konfliktpartner (im Folgenden Vertragspartner*innen genannt) Vereinbarungen aushandeln, ohne das Gericht anzurufen. Die Vertragspartner*innen haben Fürsprecher*innen an ihrer Seite, i. d. R. Rechtsanwält*innen und/oder nichtjuristische Fachpersonen, die sie persönlich, emotional und in wirtschaftlicher Hinsicht unterstützen. Zusätzlich können neutrale Experten, z.B. Kinder- oder Finanzexpert*innen, engagiert werden. Wer und in welcher Phase am Verfahren mitwirkt, richtet sich nach den Bedürfnissen der Vertragspartner*innen und wird mit ihnen abgesprochen. Die Absprache und die Verpflichtung aller Beteiligten, insbesondere der Rechtsanwält*innen, nicht vor Gericht aufzutreten bzw. das Verfahren in ein streitiges zu überführen, ist mit einer Schweigepflichtentbindung der professionell Beteiligten (im Folgenden als Team bezeichnet) verbunden, die es ihnen möglich macht, das Verfahren zu reflektieren, zu strukturieren und die Verhandlungen so zu optimieren.
2. Grundlagen
Cooperative Praxis ist im Zusammenhang mit Trennung und Scheidung entwickelt worden, kommt aber auch in einer Vielzahl von anderen Konfliktfeldern, vor allem auch im Wirtschafts- und Arbeitsbereich, in Frage.
Basis für diese Ausbildungsordnung und das Berufsbild der professionell Beteiligten sind die niedergelegten „DVCP Vertragsgrundlagen für alle Vereinbarungen“. Die Ordnung ist abgestimmt mit der Deutschen Vereinigung für Cooperative Praxis (DVCP) mit dem „European Network for Collaborative Practice (ENCP)“ und den Richtlinien der „International Academy of Collaborative Professionals (IACP)“.
3. Struktur
Die Ausbildung umfasst die Vermittlung fundierter Fachkenntnisse unter Einbeziehung wissenschaftlicher Grundlagen und Forschungsergebnisse und die Einübung von Techniken sowie die Reflexion persönlicher Erfahrung.
Die Ausbildung besteht aus einem Seminar von mindestens 22 Stunden. Die Beschränkung auf diese Zeitspanne ist nur möglich, weil Cooperative Praxis als Konsensverfahren viele Elemente der Mediation hat übernehmen können und Kenntnisse in Mediation vorausgesetzt werden.
Didaktisch werden neben der Wissensvermittlung die Fähigkeiten und Fertigkeiten durch Rollenspiele und ihre jeweilige Reflexion, auch unter Zuhilfenahme von Kleingruppenarbeit, eingeübt.
II. Adressaten
Adressaten sind Berufe, die die Feldkompetenz zur Ausübung von Cooperativer Praxis mitbringen, v. a. Rechtsanwält*innen, nichtjuristische Fachpersonen für Paare und Familien, Fachperson für Konflikte in und zwischen Betrieben und Organisationen sowie Expert*innen z.B. für Finanzen und Kinder.
Voraussetzung für die Zulassung zur Ausbildung ist in der Regel eine abgeschlossene Mediationsausbildung. Damit gelten grundsätzlich gleichzeitig die herkömmlichen Zulassungsvoraussetzungen für die Mediationsausbildung. In Ausnahmefällen genügt es, wenn der/die Bewerberin an einer gegenwärtig stattfindenden Mediationsausbildung teilnimmt oder ausnahmsweise in Einzelfällen ein Mediationsgrundlagenseminar absolviert oder begonnen hat sowie mediationsrelevante Zusatzausbildungen vorweisen kann. Auf die „Richtlinien zur Anerkennung und Listung als Professioneller für Cooperative Praxis DVCP“ wird Bezug genommen.
Über die Aufnahme zur Ausbildung entscheidet verantwortlich gegenüber der DVCP die Ausbildungsinstitution bzw. die Ausbilder*innen. Die von der DVCP anerkannten Ausbildungsinstitute bzw. Ausbilder*innen stellen nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung eine entsprechende „Teilnahmebestätigung“ an einer von der DVCP anerkannten „Grundlagenausbildung“ aus. Die Vergabe von Anerkennungsurkunden als „DVCP-anerkannter“ CP-Professioneller bzw. für „Cooperative Praxis DVCP“ erfolgt nach § 12 der DVCP Satzung in Verbindung mit den „Ausbildungs- und Anerkennungssrichtlinien“ der DVCP.
Die von der DVCP anerkannten Ausbildungsinstitute/Ausbilder*innen klären vor Beginn der Ausbildung über die Mindestvoraussetzungen für eine Anerkennung als Fachpersonen gemäß den „Ausbildungs- und Anerkennungsrichtlinien“ der DVCP und die Möglichkeit einer Vorabklärung auf.
III. Lerninhalte
1. Besonderheiten der Cooperativen Praxis als Konsensverfahren
Hierzu gehören Kenntnisse, die sich auf folgende Gebiete erstrecken:
- Geschichte, wie und aufgrund welcher Motivation Cooperative Praxis entstanden und gewachsen ist
- Kenntnisse über Indikation und Struktur der Cooperativen Praxis
- Unterschiede und Gemeinsamkeiten von traditionellen anwaltlichen Verhandlungen, Mediation, Cooperativer Praxis, psychologischen Konfliktregelungen und weiteren außergerichtlichen Streitbeilegungsmodellen
- Grundlagen der Konsensbildung. Der Paradigmenwechsel, insbesondere im Verhältnis zum gerichtlichen Vorgehen
- Geeignetheitskriterien
- Hybride Verfahren, z.B. Verbindung von Mediation und Cooperativer Praxis
- Ablauf, Phasen, Choreographie, zeitliche Abfolge (time lines)
- Auftragsklärung, Kontaktaufnahme mit der „Gegenpartei“;
- überhaupt Zustandekommen des Verfahrens der Cooperativen Praxis
- Auswahl und Zusammensetzung der Professionen
- Unterschiedliche Praxismodelle
2. Grundlagen Cooperativer Praxis
- die verabschiedeten Grundlagen Cooperativer Praxis („DVCP Vertragsgrundlagen für alle Vereinbarungen“) und ihre Grundregeln
- das jeweilige Arbeitsbündnis mit Rechtsanwalt*innen, nichtjuristischen Fachpersonen sowie Expert*innen
- Implikationen, die sich aus dem Vertrauensschutz dem Gericht bzw. Dritten gegenüber und der Schweigepflichtsentbindung der professionell Beteiligten untereinander ergeben
- Mediationsprinzipien einschließlich Verständigungsdynamik
- das Fürsprecherprinzip
- Reflexion im Team als Grundlage der Steuerung des Verfahrens
- die Rolle des Rechts
- Cooperative Praxis in den verschiedenen Konfliktfeldern
- Besonderheiten bei Trennung und Scheidung
- Besonderheiten bei Verfahren im Wirtschaftsbereich zwischen Beteiligten
- Besonderheiten bei Verfahren in Unternehmen und Organisationen
- Standesrecht
- der Vertrauensschutz gegenüber Gericht und Dritten sowie die Schweigepflichtentbindung der professionell Beteiligten untereinander und die sich daraus ergebenden Implikationen: der enge Zusammenhang von Vertraulichkeit nach außen, die Garantie hierfür durch die unwiderrufliche Disqualifikationsklausel, die Verschwiegenheitsentbindung gegenüber den professionell Beteiligten u. a. als Fürsprecher der Konfliktpartner, ermöglicht es, als Team das Verfahren zu reflektieren und zu steuern.
3. Zusammenwirken der professionell Beteiligten als Team
Hierzu gehören Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sich schwerpunktmäßig darauf beziehen, wie die unterschiedlichen Professionen von ihrer strukturell vorgegebenen Aufgabenstellung und ihrem Rollenverständnis im Interesse ihrer Parteien einerseits und auf der Verfahrensebene als Team andererseits zusammenarbeiten können. Hierbei unterstützen die professionell Beteiligten die Vertragspartner darin, eine faire Vereinbarung abzuschließen. Folgende Aspekte spielen eine besondere Rolle:
- spezifische Aufgaben der unterschiedlich am CP-Prozess Beteiligten, also z.B. Rechtsanwalt*innen, nichtjuristische Fachpersonen, Expert*innen, ihr daraus erwachsenes jeweils spezifisches Rollen- und Selbstverständnis (Rollenklarheit) sowie ihr auf fairen Konsens ausgerichtetes Zusammenwirken und die die zugrundeliegende gemeinsame Haltung
- Optimierung der Zusammenarbeit der professionell Beteiligten
- die Aufgaben und das spezifische Rollenverständnis der Kinderexpert*innen bei Trennung und Scheidung
- das Verhältnis der jeweils parteilichen Fürsprecher (Rechtsanwalt*innen, nichtjuristische Fachpersonen) zu den neutralen Expert*innen (wie Kinder/Finanzen)
- Umgang mit der Spannung zwischen inhaltlicher parteilicher Fürsprecherrolle und der Rolle als Mitglied des für das Verfahren zuständigen Teams
- Reflexionskompetenz des Teams als Grundlage der Steuerungskompetenz des Verfahrens
- Förderung der Autonomie der Vertragspartner in ihrer Dialog-, Kooperations- und Gestaltungsfähigkeit
- Stärkung der Autonomie der Vertragspartner versus „besser wissenden“ Professionellen
- wechselnde Führung im Team (Hochleistungsteam)
- Umgang mit besonderen Situationen, z.B. bei Konkurrenzen der professionell Beteiligten oder im Umgang mit Konflikten zwischen den professionell Beteiligten und den Vertragspartnern
- Umgang mit psychischen Belastungen
- verschiedene CP-spezifische Interventionstechniken, z.B. Überkreuzinterventionen
- Aspekte der Protokollierung
- Aufgabenstellung und Wechselwirkung von Einzelgesprächen und gemeinsamen Sitzungen
4. Regionale, überregionale, fachbezogene und internationale Vernetzung
- Notwendigkeit der Vernetzung
- Poolbildung
- Deutsche Vereinigung für Cooperative Praxis (DVCP)
- The European Network for Collaborative Practice (ENCP)
- Die internationale Vernetzung durch die International Academy of Collaborative Professionals (IACP)
IV. Legitimierung
Die Ausbildung berechtigt grundsätzlich, einem regionalen oder fachlichen Netzwerk beizutreten bzw. es zu gründen oder der DVCP als Einzelmitglied beizutreten, sofern die sonstigen Voraussetzungen für die Anerkennung und Listung für „Cooperative Praxis DVCP“ gemäß den DVCP „Ausbildungs- und Anerkennungsrichtlinien“ vorliegen. Diese regionalen Netzwerke und die Einzelmitglieder sind vereint in der Deutschen Vereinigung für Cooperative Praxis (DVCP).
Es besteht die Möglichkeit einer Vorabklärung bei der DVCP vor Beginn der Ausbildung (vgl. hierzu Abschnitt B. IV. 2. der DVCP „Ausbildungs- und Anerkennungsrichtlinien“).
V. Fortbildung und Supervision
Es besteht eine Verpflichtung zur regelmäßigen Praxisreflexion, Fortbildung, Supervision und Covision (vgl. hierzu Abschnitt B. III. 2 der DVCP „Ausbildungs- und Anerkennungssrichtlinien“).
(Abschnitt A der Ausbildungs- und Anerkennungsrichtlinien gemäß Beschluss der Mitgliederversammlung vom 01.02.2021)